Gesamtbewertungen der Strategieebenen

Die Expertengruppen der Fokusgruppe Intelligente Vernetzung für die Sektoren Energie, Gesundheit, Verkehr, Bildung und Verwaltung haben im Jahr 2013 gesamtheitliche Zielbilder für das Jahr 2020 erarbeitet. Eine detaillierte Beschreibung der maßgeblichen Einzelaspekte dieser Zielbilder erfolgte in zugehörigen Zielbildbausteinen. Darüber hinaus wurden konkrete Maßnahmenempfehlungen zur Erreichung der definierten Ziele konzipiert. Die folgenden Ausführungen geben die aktuellen Einschätzungen der Expertengruppe Intelligente Gesundheitsnetze zum gegenwärtigen Status und Umsetzungsfortschritt auf dem Weg zur Erreichung der gesetzten Ziele wieder. Status und Umsetzungsfortschritt sind nach den Strategieebenen (gesellschaftliche Ebene, Business-Ebene, rechtlich/regulatorische Ebene, Prozess-Ebene, technische Ebene) bewertet, zunächst in aggregierter Übersicht aufgeführt und in den nachfolgenden Detailbetrachtungen für die einzelnen Zielbilder und Zielbildbausteine dargestellt.

Die Vorgaben des E-Health-Gesetzes sollten zeitnah umgesetzt werden, insbesondere die elektronische Patientenakte. Im Hinblick auf die demographische Bevölkerungsentwicklung und den sich abzeichnenden Ärztemangel vor allem in ländlichen Gebieten müssen Elemente wie Videosprechstunden und Telemonitoring sowie Versandhandel von Arzneimitteln angeboten bzw. beibehalten werden.

Die 4. AMG-Novelle verfestigt das Verbot der vollumfänglichen Fernbehandlung aus § 7 Abs. 4 der ärztlichen Musterberufsordnung. Das faktische Analogieverbot im niedergelassenen Bereich verhindert, dass digitale Anwendungen schnell in die Regelversorgung kommen (bspw. Videosprechstunde, e-Arztbrief).

Sowohl für große Unternehmen als auch für Startups ist der deutsche Gesundheitsmarkt vor allem wegen des Fehlens einer Digitalisierungsstrategie innovationsfeindlich.

Besonders für Healthcare-IT Lösungen ist Deutschland ein schwieriger Markt. Grund sind im internationalen Vergleich kleine IT-Budgets der Krankenhäuser und ein restriktives regulatorisches Umfeld. In der Folge verkaufen deutsche Unternehmen wie Siemens ihre Healthcare-IT-Lösungen an ausländische Wettbewerber und deutsche Startups wie Klara aus Berlin gehen mit ihren Lösungen ins Ausland.

Bezüglich einer Sektor- und Versorgungseinheitenübergreifenden Zusammenarbeit und Datenbereitstellung, dezentralisierten Leistungserbringung sowie des Einsatzes vernetzter IT-Assistenzsysteme sind kaum Fortschritte feststellbar. Ursachen sind u. a. die Verfestigung des Fernbehandlungsverbots, das geplante Versandhandelsverbot sowie immer noch im Aufbau befindliche zentrale Elemente wie das Interoperabiliätsverzeichnis sowie die Telematikinfrastruktur.

Die technischen Voraussetzungen für die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland sind gegeben, treffen aber auf ein System, das für eine analoge Welt konzipiert wurde und sich beharrlich der Modernisierung verweigert.

Technisch ist man bereits heute in der Lage, durch die Analyse von Gesundheitsdaten kurz- und mittelfristige Krankheitsrisiken mit großer Zielgenauigkeit zu prognostizieren (Big Data).

Fortschritte bei mobilen Sensoren (Wearables) machen das Erfassen gesundheitsrelevanter Parameter am Patienten einfacher und erschwinglicher. Hier wird die Herausforderung sein, diese Daten in den Primärsystemen der Leistungserbringer nutzbar zu machen.

Die Fokusthemen „Elektronische Patientenakte“, „Interoperabilität und Standardisierung“ sowie „Abrechenbarkeit von Telekonsultationen und Telemonitoring“ sind nach wie vor aktuell; es besteht unverändert Handlungsbedarf.

Detailbewertungen

Die nachfolgenden Detailbetrachtungen zeigen die von der Projektgruppe „Intelligente Gesundheitsnetze“ erarbeiteten Zielbilder für den in 2020 angestrebten Zustand des Gesundheitssektors in den strategischen Ebenen. Ausgehend von diesen Zielbildern wird der aktuelle Status und die Umsetzung bewertet. Detailbeschreibungen der Zielbilder/Zielbildbausteine finden Sie im Ergebnisbericht 2013.

Gesellschaftliche Ebene

Zielbild:

2020 steht dem Mehrbedarf an medizinischer Behandlungskapazität ein sich verringerndes Angebot an Medizinern gegenüber. Telemedizin sichert die medizinische Versorgung auch in strukturschwachen Regionen. Individualisierung der Medizin ermöglicht maßgeschneiderte Therapien mit bestmöglichen Behandlungsergebnissen.
Wesentliche Zielbildbausteine sind:

Das Verständnis der Bedeutung der Digitalisierung für die Entwicklung in der Medizin hat in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen. Es gibt auch einzelne Beispiele wie das hochmoderne Curriculum „Medizin im digitalen Zeitalter“ der Universitätsmedizin Mainz, aber eine systematische und strukturierte Integration der Digitalisierung in die Ausbildung muss noch entwickelt werden, um die Studierenden und Auszubildenden auf die Möglichkeiten diverser digitaler Techniken vorzubereiten.

Der kombinierte Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Big Data Analytik als digitale Instrumente ist wichtig, um präzise Diagnosen und die prognostische Abschätzung individualisierter Therapien zu ermöglichen. Dafür notwendig ist die Realisierung der Interoperabilität in der Medizin. Die BMBF-Initiative Medizininformatik ist eine nationale Initiative, die diese wichtige Grundvoraussetzung schaffen kann und wird.

Die Bereitschaft der – gerade auch älteren – Menschen, sich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung auseinanderzusetzen, nimmt zu. Neue Möglichkeiten der digitalen Prävention und Prozessvereinfachung sind sehr attraktiv und werden zunehmend genutzt. So bieten Wearables oder auch verschiedene Apps intelligente Software und Funktionen, die es älteren Menschen ermöglichen, länger ein selbstbestimmtes Leben in ihrer gewohnten Umgebung zu führen.

Die Möglichkeiten der Sensorik in Wearables, das technische Angebot moderner Smartphones sowie die wachsende Verbreitung telemedizinischer Anwendungen und elektronischer Visiten stärkt den Wunsch der Patientinnen und Patienten nach personalisierter und wohnortnaher Versorgung auf Expertenniveau.

Rechtliche/regulatorische Ebene

Zielbild:

2020 ist die im Versorgungsstrukturgesetz von 2011 festgelegte Roadmap für den flächendeckenden Wirkbetrieb von Telemedizin umgesetzt. Mehr Rechtssicherheit beim IT-Outsourcing schafft die Grundlage dafür, dass spezialisierte Dienstleister eingesetzt werden können. Die Möglichkeiten der elektronischen Gesundheitskarte werden umfassend genutzt. Wesentliche Zielbildbausteine sind:

Auch im Jahr 2017 wird der Patient mit den einzelnen Puzzlestücken seiner medizinischen Dokumentationen allein gelassen. Bis heute ist es etwa noch üblich, dem Patienten radiologische Befunde auf CD zu übergeben. Eine Portabilität von medinischen Daten auch und vor allem mittels einer übergeordneten Datenplattform ist nicht erreicht und auch bisher nicht angestrebt. Deutschland braucht eine verbindliche Governance, die klare Regelungen zu Interoperabilität und Portabilität von Gesundheitsdaten schafft. Hoffnung besteht durch die Angebote von elektronischen Gesundheitsakten nach § 68 SGB V durch einzelne Krankenkassen. Während Cloud-Computing für den privaten Nutzer, aber auch und vor allem für Wirtschaftsunternehmen immer wichtiger wird und die Cloud-Konzepte im Praxistest belegen konnten, dass ein Mehr und nicht ein Weniger an Datenschutz realisierbar ist, verweigert sich der Gesundheitssektor bisher unter Verweis auf „datenschutzrechtliche Bedenken“. Eine Ausnahme bilden Krankenkassen, die vermehrt die Möglichkeiten der elektronischen Gesundheitsakte nutzen.

Durch die geplanten Änderungen bei den Regeln zur ärztlichen Schweigepflicht sind die Möglichkeiten des niedergelassenen Arztes gewachsen, sich für Cloud-Angebote zu
entscheiden. Hiermit werden zwar noch keine Angebote für den Patienten geschaffen, aber dennoch lässt sich das Sicherheitsniveau der Informationstechnologie bei
niedergelassenen Ärzten mit diesen Änderungen verbessern.

Mit dem Regierungsentwurf zur Anpassung des § 203 Strafgesetzbuch ist eine langjährige Rechtsunsicherheit nun auf gutem Wege, behoben zu werden.

Bei der Telematikinfrastruktur gab es 2016 / 2017 Fortschritte – insbesondere sind die ersten Online-Anwendungen nun jedenfalls in einer Testregion bereits im Einsatz.
Weitere Anstrenungen sind dennoch erforderlich.

Deutschland benötigt dringend die Harmonisierung unterschiedlicher datenschutzrechtlicher Anforderungen. Diese Harmonisierung beschränkt sich nicht nur auf die
rechtliche Angleichung der Datenschutzregelungen in den Landeskrankenhausgesetzen etwa zur Sekundärnutzung von Versorgungsdaten oder zur eindeutigen und
allgemeingültigen Regelung, wann Daten hinreichend anonymisiert/de-identifiziert sind. Sie betrifft insbesondere auch die organisatorisch verbindliche Koordinierung
der Landesdatenschützer, um zumindest ein national einheitliches Vorgehen sicherzustellen. Damit einher geht die Notwendigkeit einer übergreifenden, national
einheitlichen Regelung für die Sekundärnutzung von Daten aus der medizinischen Versorgung.

Business-Ebene

Zielbild:

2020 werden intelligente Wissensdatenbanken helfen, das stetig wachsende Informationsangebot intelligent zu nutzen sowie Behandler und Patienten zu unterstützen. Insbesondere in der Pharmakologie kann gezielt und individuell behandelt werden. Der klassische erste Gesundheitsmarkt wird zunehmend mit dem zweiten Gesundheitsmarkt durch intelligente IT-Anwendungen vernetzt und bietet weitere qualitätsgesicherte medizinische Zielgruppeninformationen. Wesentliche Zielbildbausteine sind:

Die Anzahl an Webdokumenten und -pages steigt rasant. Qualitätsgesicherte Informationen sind dabei jedoch schwer zu erkennen. Ein Qualitätssiegel fehlt weiterhin.

Das Marktangebot von Zusatzgeräten und Apps zur Selbstmessung/-dokumentation steigt weiter an. Inzwischen fördern Krankenkassen einzelne Apps oder bieten ihren Versicherten mobile Devices an. Bundesminister Hermann Gröhe hat dazu die Gründung eines „deutschen Gesundheitsportals“ angeregt. Dies ist zu begrüßen.

Die Bundesregierung hat zwar eine Untergrenze für die Menge an Pflegepersonal in Krankenhäusern beschlossen. Nach wie vor ungeklärt ist allerdings die Frage, wie der steigende Bedarf an Pflegekräften – vor allem im ambulanten Bereich – ohne den von Kranken- und Pflegekassen bezahlten Einsatz von technischen Hilfsmitteln gedeckt werden soll.

Die sektorübergreifende Zusammenarbeit hat sich nicht wesentlich verbessert. Auch die Überführung des Gemeindeschwesterkonzepts von Modellprojekten in die Regelversorgung ist nicht nachhaltig umgesetzt worden.

Deutschland als Pharmastandort könnte eine Vorreiterrolle in der personalisierten Medizin einnehmen. Derzeit wird allerdings von gesetzgeberischer Seite die Forschung – z. B. durch Biodatenbanken – eher eingeschränkt als gefördert. Auch bei der Kostenübernahme durch Krankenkassen ist das Thema „Personalisierte Medizin“ noch nicht angekommen.

Prozess-Ebene

Zielbild:

2020 ist eine lückenlose medizinische Versorgung auch in dezentralen Regionen durch ein enges Zusammenspiel der Leistungserbringer mit IKT-Unterstützung sichergestellt. Der Patient wird in seinem häuslichen Umfeld mit IKT sowie Sensorik und Aktorik unterstützt, um Gefahrensituationen abzuwenden. Alle für den Versorgungsprozess relevanten Daten stehen allen entsprechenden Leistungserbringern zur Verfügung. Die Semantiken und Ontologien der unterschiedlichen Systeme sind interoperabel. Wesentliche Zielbildbausteine sind:

Seit 2015 sind keine Verbesserungen bei der sektorübergreifenden Zusammenarbeit und Delegation durch gesetzgeberische Maßnahmen oder Handlungen der Selbstverwaltung ersichtlich. Lediglich der Innovationsfonds fördert Projekte zur Delegation, eine Umsetzung in der Regelversorgung ist aber ungewiss.

Vernetzte IT-Assistenzsysteme sind weder in der medizinischen Versorgung noch in der Pflege als etablierte Unterstützung angekommen.

Die 4. AMG-Novelle verfestigt das Fernbehandlungsverbot für Ärzte. Das geplante Versandhandelsverbot erschwert den Arzneimittelversand zum Nachteil der Patienten insbesondere in ländlichen Regionen.

Der Austausch von Daten zwischen stationärem und niedergelassenem Bereich hat sich nicht verändert. Es gibt keine einheitlichen verpflichtenden Standards für den Austausch von Daten. Das Interoperabiliätsverzeichnis befindet sich noch im Aufbau, ebenso die Telematikinfrastruktur.

Technische Ebene

Zielbild:

2020 profitieren Patienten, Heilberufler und das gesamte Gesundheitssystem von den Fortschritten der Genomanalyse und personalisierten Medizin, der Miniaturisierung der Sensoren mit den verstärkten Möglichkeiten der dezentralen Diagnostik und Therapie, der Videokommunikation sowie den unterstützenden und entlastenden Funktionen, die Avatare, medizinische Expertensysteme, Roboter und elektronische Gesundheitskarten zur Verfügung stellen. Das Internet of Things vernetzt diese Komponenten und bildet so die Grundlage der intelligenten Gesundheitsnetze. Wesentliche Zielbildbausteine sind:

Nach wie vor wird das Feld von ausländischen Konzernen dominiert (z. B. Apple, Google, Samsung). Hier droht Deutschland den Anschluss zu verlieren.

Das E-Health-Gesetz sieht bis Mitte 2017 die Erstellung eines unverbindlichen Interoperabilitätsverzeichnisses ohne allgemeinverbindlichen Konsensprozess aller Beteiligten vor. Daher steht zu befürchten, dass der Standardisierungsprozess im deutschen Gesundheitswesen nicht vorangebracht wird.

Das Feld wird nach wie vor von ausländischen Konzernen dominiert (z. B. IBM, Google, Relx). Der international bedeutendste deutsche Player im Big-Data-Bereich ist SAP. Da alle in diesem Zielbildbaustein vereinten Bereiche noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, wäre es wünschenswert, wenn deutsche Unternehmen sich frühzeitig engagieren und diesen Markt mit gestalten würden.