Einleitung

Digitale Gesundheitsleistungen sind eine Notwendigkeit

Die Gesundheitsversorgung der Bürgerinnen und Bürger mit hoher Qualität und Zugänglichkeit in jeder Region stellt das Gesundheitswesen vor zunehmende Herausforderungen. 2030 werden in Deutschland voraussichtlich über 100.000 Ärztinnen und Ärzte fehlen. Schon jetzt weist Deutschland EU-weit die älteste und weltweit nach Japan die zweitälteste Bevölkerung auf. Vor diesem Hintergrund muss die Versorgungsstruktur durch forcierte Digitalisierung flexibler und leistungsfähiger werden. Neue Formen der intelligenten Vernetzung können dazu beitragen, die Gesundheitsversorgung in Deutschland effizienter, kostengünstiger und zum besseren Nutzen von Patienten und Gesundheitsdienstleistern zu gestalten. Die Bundesregierung hat mit dem sogenannten „E-Health-Gesetz“ den Rahmen für die Einführung nutzerorientierter Telematik-Anwendungen und Telemedizin vorgegeben. Die Frage ist nicht ob, sondern wie tiefgreifend der digitale Wandel unser Gesundheitswesen verändern kann, um auch in Zukunft eine finanzierbare hohe Effektivität und Behandlungsqualität zum Wohl der Patientinnen und Patienten zu erreichen. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, die vorhandenen dezentralen Strukturen sektorenübergreifend digital zu vernetzen.

Die Liste der digitalen Innovationen im Medizinsektor wird dabei fast täglich länger: Miniaturisierte und erschwingliche Biosensoren erlauben mehr und mehr Menschen, größere Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Vernetzte Künstliche Intelligenzen in Form von Entscheidungsunterstützungsystemen werden für eine zunehmende Anzahl von medizinischen Fachrichtungen verfügbar und assistieren in naher Zukunft auch den Patienten bei der Interpretation von selbst erhobenen Gesundheitsdaten. Daten-, Audio- und Videokommunikation bringen ortsunabhängig Patientendaten zum Arzt und ärztlichen Rat zum Patienten.


Digitalisierung des Gesundheitssektors ist kein Selbstläufer

Die Digitalisierung bietet damit auch im Gesundheitsbereich ein großes Innovationspotenzial. Diese Entwicklung ist allerdings kein Selbstläufer oder unterliegt gar einem Automatismus, sondern muss gestaltet und erarbeitet werden.

Die Chance von Digital Health-Anwendungen für den Bürger besteht darin, die Patientensouveränität zu fördern und die Versorgung zu verbessern. Das Potenzial der Digitalisierung kann dabei nur dann ausgeschöpft werden, wenn nicht die traditionellen analogen Prozesse 1:1 zu digitalen Prozessen übersetzt werden, sondern neue Prozesse und Strukturen das Digitale Krankenhaus der Zukunft als vernetzten proaktiven Ort entstehen lassen, der service- und nutzenorientiert agiert. Dabei sind die elektronische standardisierte Patientenakte, Cloud-Dienste und eine intelligente interoperable Vernetzung von Geräten und Menschen wichtige Eckpfeiler der Entwicklung. Die konsequente Einführung und Durchführung einer standardisierten Kommunikation mit Hilfe der elektronischen Patientenakte ist ein zentrales Merkmal für die Prozess- und Effektivitätssteigerung durch das neue digitale Gesundheitsnetzwerk.

Notwendige Bedingung ist dabei stets der Nutzennachweis für den Patienten. Während traditionelle Instrumente diesen Nachweis bislang kaum liefern konnten, erscheinen neue Methoden vielversprechend, um einen Standard für den Nutzennachweis zu schaffen, der den breiten Transfer digitaler Leistungen in die Regelversorgung ermöglicht. Dieses Handlungsfeld und weitere Zukunftsthemen intelligenter Gesundheitsnetze beleuchten im vorliegenden Report auch die Gastbeiträge ausgewählter Autoren sowie weiterer Expertengruppen innerhalb der Fokusgruppe Intelligente Vernetzung.


Intelligente Vernetzung in den Infrastrukturbereichen

„Intelligente Vernetzung” steht in diesem Kontext für eine optimierte Nutzung und Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in den Infrastrukturbereichen Energie, Gesundheit, Verkehr, Bildung und Öffentliche Verwaltung. Durch die digitale Vernetzung und Nutzung innovativer Querschnittstechnologien wie Smart Data, M2M/Internet der Dinge und Smart Wearables sowie horizontal verbindender Plattformen können Prozessoptimierungen, Produktivitätsfortschritte und Kosteneinsparungen erreicht und somit erhebliche Wachstumsimpulse gesetzt werden.

Die Fokusgruppe „Intelligente Vernetzung“ unterstützt in der Plattform „Innovative Digitalisierung der Wirtschaft“ des Digital-Gipfels mit ihrer branchenübergreifenden Expertise die Umsetzung und Weiterentwicklung der Digitalen Agenda der Bundesregierung. Dabei berät und begleitet sie als hochrangiges Gremium insbesondere die Umsetzung der Strategie „Intelligente Vernetzung“ der Bundesregierung. Mit ihren Experten in zehn thematischen Untergruppen begleitet die Fokusgruppe die digitale Entwicklung Deutschlands an der Nahtstelle von Politik und Wirtschaft und liefert seit Jahren wichtige Beiträge für die öffentliche Debatte.1


Status und Fortschritt intelligenter Vernetzung in Deutschland

Zum IT-Gipfel 2015 wurde mit dem „DIV-Report“ ein umfangreicher Bericht zum Status und Fortschritt der intelligenten Vernetzung in Deutschland mit einem klaren Lagebild und konkreten Handlungsempfehlungen veröffentlicht.2 Mit dem vorliegenden „DIV-Report Spezial 2017“ legen die Expertinnen und Experten der Fokusgruppe Intelligente Vernetzung einen gemeinsamen Schwerpunktbericht zum diesjährigen Gipfelthema „Digitale Gesundheit“ vor. Die Fokusgruppe hat sich im unterjährigen Prozess intensiv mit dem aktuellen Entwicklungsstand der Digitalisierung im Gesundheitsbereich beschäftigt. In interdisziplinärer Zusammenarbeit wurden darüber hinaus Herausforderungen analysiert, Hemmnisse identifiziert und Handlungserfordernisse benannt.

Nach 2015 legt die Fokusgruppe damit zum zweiten Mal eine umfassende Analyse intelligenter Gesundheitsnetze in Deutschland vor. Grundlage dieser Analyse war die Betrachtung des Umsetzungsfortschritts bezüglich fünf definierter Zielbilder3 auf der gesellschaftlichen, rechtlich-regulatorischen, ökonomischen, prozessualen und technischen Strategieebene. Darüber hinaus wurden Status und Fortschritt der Umsetzung für 21 diesen Strategieebenen zugeordneten Zielbildbausteinen bewertet.

Durch die enge Zusammenarbeit von Gesundheitsexperten aus Unternehmen und Verbänden in der Expertengruppe Intelligente Gesundheitsnetze steht die Einschätzung von Status und Fortschritt sowie der Erreichbarkeit der gesteckten Ziele intelligent vernetzter Gesundheitsnetze auf einer breiten Basis. In weiteren Expertengruppen wurden zudem Beiträge für den DIV-Report Spezial 2017 erarbeitet, die zum Teil auch als vertiefende Positionspapiere veröffentlicht wurden.4


Lösungsorientiertes Handeln für eine Digitalisierung des Gesundheitswesens

Wie die Ergebnisse des DIV-Report Spezial 2017 verdeutlichen, sind die technischen Möglichkeiten inzwischen vorhanden, um mit intelligenten Gesundheitsnetzen einen signifikanten Beitrag zur Sicherstellung und Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland zu leisten. Die entscheidende Frage lautet: Ist Deutschland willens, die Patienten von den Möglichkeiten dieser neuen Versorgungsformen profitieren zu lassen? Voraussetzung hierfür wäre, dass die verantwortlichen Akteure gemeinsam lösungsorientiert handeln.

Während Deutschland durch selbst auferlegte regulatorische Beschränkungen wie Fernbehandlungsverbot, 4. AMG-Novelle5 und drohendes Verbot des Versandhandels von Medikamenten seine Rückständigkeit weiter zu zementieren droht, sind europäische Nachbarstaaten deutlich fortgeschrittener in der Anwendung elektronischer Patientenakten und elektronischer Arzt- Patienten-Kommunikation.

Viel mehr als Verbote benötigt Deutschland jedoch eine Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen mit mittelfristigen Zielen für die patientenzentrierte Versorgung, für die sektorübergreifende Zusammenarbeit und die Positionierung Deutschlands als Champion. Das im vergangenen Jahr in Kraft getretene E-Health-Gesetz6 verdeutlicht, dass die Rückständigkeit Deutschlands bei der Digitalisierung des Gesundheitssektors keineswegs ein vorgegebener, unumkehrbarer Zustand ist. Allerdings wird auch evident, wie weit der Weg hin zu intelligenten Gesundheitsnetzen noch ist. Ein strategieorientiertes, koordiniertes und schnelles Handeln aller beteiligten Stakeholder ist daher ebenso dringend erforderlich wie weitere rechtlich verbindliche Ziele für alle Akteure – insbesondere hinsichtlich Interoperabilität, Datensouveränität und Abrechenbarkeit von telemedizinischen Anwendungen und Leistungen.

Um den Erfolg der Digitalen Transformation für den Patienten und die Medizin Realität werden zu lassen, ist ein kritischer und offener Diskurs notwendig. Der DIV- Report Gesundheit 2017 der Expertengruppe Intelligente Gesundheitsnetze mit der Unterstützung weiterer Expertengruppen ist ein aktueller und richtungsweisender Beitrag für diesen Diskurs.

  1.  Alle Informationen, Dokumente, Analysen und Empfehlungen der Fokusgruppe Intelligente Vernetzung stehen kostenlos im Internet zur Verfügung: www.deutschland-intelligent-vernetzt.org
  2. http://div-report.de
  3. http://deutschland-intelligent-vernetzt.org/wp-content/uploads/sites/4/2015/12/140513_AG2_UAG-IN_Ergebnis_PG_Gesundheit_Ansicht.pdf
  4. http://deutschland-intelligent-vernetzt.org/wp/downloads
  5. Mit dem Vierten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften werden Anpassungen im Arzneimittelgesetz (AMG) vorgenommen, die durch die Verordnung (EU) Nr. 536 / 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln erforderlich geworden sind. Vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2016/4-amg-novelle-verabschiedet.html
  6. Das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“ (E-Health-Gesetz) enthält einen Fahrplan für die Einführung einer digitalen Infrastruktur sowie nutzbringender Anwendungen auf der elektronischen Gesundheitskarte; vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/e-health-gesetz/e-health.html