Klaus Juffernbruch (FOM Hochschule für Oekonomie & Management gGmbH | Expertengruppe Intelligente Gesundheitsnetze)
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Medizin vermehren sich in einem immer schnelleren Ausmaß. Es gibt Schätzungen, nach denen sich diese im Jahre 2020 alle 73 Tage verdoppeln werden.
Für Ärzte wird es daher zunehmend schwieriger, mit dieser Wissensvermehrung Schritt zu halten und auf dem aktuellen Stand der Forschung zu bleiben.
Einen Ansatz zur Bewältigung dieser Problematik bieten die Methoden der Künstlichen Intelligenz.
Bereits im Jahr 1950 schlug der englische Mathematiker, Informatiker und Kryptoanalytiker Alan Turing einen nach ihm benannten Test vor, um zu entscheiden, ob eine Maschine eine dem Menschen vergleichbare Denkfähigkeit aufweist. Gemäß diesem Test zeigt eine Maschine intelligentes Verhalten, wenn ein Mensch über ein mehrfaches, schriftliches Frage-Antwort-Spiel mit einem Computer und einem Menschen nicht unterscheiden kann, wer Mensch und wer Maschine ist.
Ein erster Meilenstein der künstlichen Intelligenz war 1966 die Entwicklung des Programms ELIZA am Massachusetts Institute of Technology (MIT) durch den deutsch-US-amerikanischen Wissenschaftler Joseph Weizenbaum. ELIZA simulierte auf einfache Weise einen Psychotherapeuten, der die klientenzentrierte Psychotherapie nach Rogers verwendet.
Im Wesentlichen unterscheidet man heute folgende Komponenten der künstlichen Intelligenz:
- Kognitive Intelligenz ermöglicht das Erkennen von kausalen Zusammenhängen in gespeichertem Wissen mit Schlussfolgerungen und Verhaltensanpassungen für neue Situationen.
- Das Erkennen und Verarbeiten von menschlichen Stimmungen und Sozialverhalten fällt in den Bereich der sozialen/emotionalen Intelligenz.
- Bei der sensomotorischen Intelligenz findet man die Komponenten visuelle, sprachliche und manipulative Intelligenz. Visuelle Intelligenz erkennt über Musteranalyse beispielsweise Gesichter, Fingerabdrücke und pathologische Merkmale in medizinischem Bildmaterial. Spracherkennung und Sprachsynthese sind die Domäne der sprachlichen Intelligenz. Fühlen, Greifen und Bewegen sind Gegenstand der Forschung und Anwendung der manipulativen Intelligenz.
Produkte mit solchen Fähigkeiten dringen in immer weitere Bereiche des Alltags und der Berufswelt vor. Sprachgesteuerte digitale Assistenten finden sich auf Computern und Smartphones. Als eigenständige Geräte werden sie für den Haushalt angeboten. Systeme, die unsere Umwelt erkennen und entsprechend reagieren können, sind Grundlage selbstfahrender Fahrzeuge. Programme sind in der Lage, Nachrichtentexte zu verfassen, die nicht von einem menschlichen Autor zu unterscheiden sind.
In der Medizin wird die Fähigkeit, natürlichsprachliche Texte zu verstehen, dazu genutzt, unstrukturiertes Wissen z. B. aus Fachaufsätzen in strukturierte, auswertbare Daten zu überführen. In Arztbriefen werden automatisch Symptome, Diagnosen und Medikationen identifiziert. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung in den Bereichen der medizinischen Bildgebung, zu denen beispielsweise Radiologie, Pathologie und Dermatologie zählen. Algorithmen spüren bereits heute Brustkrebs auf, sagen Herzerkrankungen voraus, erkennen Osteoporose und stellen erste Anzeichen von Hautkrebs mit einer Treffsicherheit fest, die menschlichen Ärzten ebenbürtig ist. Im April 2017 wurde nach fünfjähriger Laufzeit der Hauptpreis in einem Wettbewerb verliehen, der mit insgesamt 10 Millionen US-Dollar dotiert war. Ziel des Wettbewerbs war es, ein handliches Gerät zu entwickeln, das eigenständig biosensorische Werte misst und daraus Vorhandensein oder Abwesenheit von verschiedenen Krankheitszuständen wie Mittelohrentzündung, Vorhofflimmern und Schlafapnoe ableiten kann. Die Geräte sollen die Heimdiagnose durch medizinische Laien erleichtern.
Bereits in naher Zukunft werden KI-basierte Entscheidungsunterstützungssysteme mehr Wissen in sich vereinen als ein menschlicher Facharzt. Das führt dazu, dass Diagnosen und Therapievorschläge zunehmend von Computern erstellt werden, die zunächst noch von Ärzten und Therapeuten überprüft und freigegeben werden, bevor KI-Systeme zukünftig vollautonom handeln werden.
In Zeiten des demografischen Wandels und eines drohenden relativen und absoluten Mangels an Gesundheitsberuflern hängt die Zukunft der Versorgung entscheidend davon ab, ob es uns gelingt, Techniken zu entwickeln, die zu einer spürbaren Entlastung der Behandler von Routineaufgaben führen und die Konzentration auf wichtige und komplexe Krankheitsszenarien ermöglichen.
Künstliche Intelligenz kann hier einen großen Beitrag leisten. Die Technik kennt keine Müdigkeit und steht rund um die Uhr auch an Sonn- und Feiertagen zurVerfügung. Patienten werden autonomer, Ärzte entlastet, Diagnosen schneller und genauer und Therapien maßgeschneiderter.