Ekkehard Mittelstaedt (Bundesverband Gesundheits-IT e. V. | Expertengruppe Intelligente Gesundheitsnetze)
Die bisherigen Diskussionen zu E-Health-Anwendungen im ersten Gesundheitsmarkt drehen sich in erster Linie um die Frage, wie die Anwendungen für Provider von Gesundheitsdienstleistungen optimiert und die Provider untereinander besser vernetzt werden können. Dabei spielt – von wenigen Projekten abgesehen – die Vernetzung der Provider zwischen den jeweiligen Sektoren kaum eine Rolle. Das Hauptproblem scheint nun darin zu liegen, dass zwar Einigkeit darüber herrscht, dass das Teilen von vorhandenen Informationen eine Grundvoraussetzung für eine bessere und auch effizientere Versorgung der Versicherten/Patienten ist, es aber an schlüssigen Konzepten mangelt, die Provider entsprechend zu vernetzen. Eine wesentliche Hürde dabei ist die Tatsache, dass nach wie vor ungeklärt ist, wer wem welche Daten zur Verfügung zu stellen hat und wer auf welche Daten welche Zugriffsrechte erhält. Kompetenzgerangel und unterschiedliche Zuständigkeiten der Partner der Selbstverwaltung – Kassen, Ärzte, Apotheker und auch der Pflege, die im Kontext der IT-Infrastruktur nahezu bedeutungslos zu sein scheint – erschweren die Suche nach einer Gesamtlösung. Um dieses Dilemma aufzulösen, sollte die Bürgersouveränität gestärkt werden, indem jedem Bundesbürger das Recht auf seine Daten in strukturierter Form zugebilligt wird. Das allerdings bedingt die Pflicht aller Leistungserbringer, dem Bürger die über ihn gesammelten und erhobenen Daten ebenfalls in strukturierter Form zur Verfügung zu stellen. Dies kann nur gelingen, wenn gleichzeitig die elektronische Patientenakte als Infrastrukturelement als Recht der Bürger in das SGB aufgenommen wird. Das kann dann wie folgt aussehen:
Elektronische Patientenakte
(Elektronische Gesundheitsakte)
Unter der elektronischen Patientenakte oder auch elektronischen Gesundheitsakte verstehen wir ein IT-System, in dem die Gesundheitsdaten der Inhaber der elektronischen Akte strukturiert, fallübergreifend, sektorenübergreifend sowie professions- und einrichtungsübergreifend gespeichert werden. In Abgrenzung zu Fallakten oder patientenbezogenen Akten in Primär und Sekundärsystemen, die üblicherweise in Einrichtungen des Gesundheitswesens zum Einsatz kommen, ist der Inhaber der elektronischen Patientenakte in der hier beschriebenen Art immer die Person, deren personenbezogene Daten in der Akte gespeichert sind. Dieser Grundsatz folgt dem Recht des Versicherten/ Patienten, Auskunft über die über ihn erhobenen und gespeicherten Daten zu erhalten. Damit einher geht die Forderung, dass jeder Patient das Recht erhält, die über ihn erhobenen und gespeicherten Daten vollständig und in bundeseinheitlich strukturierter Form elektronisch von allen Leistungserbringern ausgehändigt zu bekommen.
Zu den von den Leistungserbringern in einer solchen Akte zu speichernden Daten (Kernanforderungen) gehören mindestens die im SGB V (§ 291a) und SGB X aufgeführten Inhalte in einem technisch landesweit einheitlichen Format. Zusätzlich kann die elektronische Patientenakte um weitere speziell als selbsterhoben zu kennzeichnende Funktionalitäten und Datensätze, wie bspw. Fitnessdaten, Vitaldaten etc., erweitert werden, die vom Versicherten/Patienten selbst mittels diverser Devices erhoben werden. Zu den Akteuren zählen mindestens Ärzte, Zahnärzte und Apotheker sowie das im Behandlungskontext eingebundene nichtakademische Fachpersonal in Praxen, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Rehabilitationseinrichtungen. Hinzu kommen der Patient und Personen, die vom Inhaber der Akte Zugriff erhalten (bspw. Angehörige, Freunde, Trainer, Nachbarn etc.).
Die elektronische Patientenakte ist das zentrale Element in der bundesdeutschen und auch europäischen Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen im Gesundheitswesen. Mit der elektronischen Patientenakte wird es überhaupt erst ermöglicht, die für die Behandlung und Versorgung erforderlichen individuellen und personalisierten Daten und Informationen des Einzelnen zu bündeln und im Bedarfsfall – also Behandlungskontext – in der gebotenen Güte, Qualität und Validität den am Behandlungsprozess beteiligten Leistungserbringern sowie den beteiligten Personen und Institutionen zielgruppengenau zur Verfügung zu stellen. Die elektronische Patientenakte ist somit notwendige Voraussetzung für die inhaltliche Vernetzung der Leistungserbringer im Kontext der Einführung der Telematik-Infrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Nutzen einer elektronischen Patientenakte ist freiwillig. Die alleinige Verfügungsgewalt liegt beim Inhaber der elektronischen Patientenakte. Alle Leistungserbringer im GKV-System sind verpflichtet, bei Zustimmung des Patienten/Versicherten und auf deren Verlangen die über ihn erhobenen Gesundheitsdaten elektronisch und in strukturierter Form in die von ihm frei wählbare
Patentenakte zu speichern. Ferner sind alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen dazu verpflichtet, die für den Behandlungsprozess zur Verfügung stehenden relevanten Daten aus der elektronischen Patientenakte im Behandlungskontext zu berücksichtigen.
Die elektronische Patientenakte kann von jedem Unternehmen im freien Markt entwickelt und angeboten werden. Die Gematik stellt die Sicherheit der Telematikinfrastruktur sicher und regelt in den Grenzen der ihr gesetzlich zugeschriebenen Aufgaben Interoperabilität und Zugang zur Telematikinfrastruktur und sichert so die für die Vernetzung der Akteure erforderlichen sicheren Kommunikationswege.
Der gesetzlich Versicherte hat gegenüber seiner Krankenkasse Anspruch auf Erstattung der Kosten für eine elektronische Patientenakte. Es besteht Anspruch der Leistungserbringer auf Vergütung für das Einlesen und Verarbeitung der Daten aus der Patientenakte sowie für die Datenpflege, Aktualisierung und Speicherung in die elektronische Patientenakte.